Freitag, 14. Januar 2011

ATV ist sich "für keinen Einsatz zu schade"

Schon wieder eine neue Dokusoap und schon wieder eine, die vorgibt den Polizeialltag realistisch einzufangen. WEGA - Die Spezialeinheit der Polizei heißt die Sendung und anschauen kann man sie sich künftig jeden Montag zur Primetime auf ATV. Mit Brechreizgarantie!

Die journalistischen Standards hält ATV bewusst niedrig. Das Format baut eher auf etwas, dass sich seit dem Irakkrieg als „embedded journalism“ einen zweifelhaften Namen gemacht hat. Das Kamerateam von ATV durfte die „Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung“ (kurz: WEGA) bei ihren Interventionen in öffentliche und privaten Räume begleiten.

Wer denkt, dass kritische Fragen zu vergangenen Einsätzen, etwa zu polizeilicher Gewalt gegen DemonstrantInnen, Folter und rassistischen Übergriffen gestellt werden, hat falsch gedacht. Das gilt zumindest für die erste Folge, die vergangenen Montag ausgestrahlt wurde. Wie es das ATV-Team schafft, diese Themen zu umkurven, war mitunter beachtlich. Selbst als ein WEGA-Beamter von „lagebedingten Erstickungstod“ spricht, der in Österreich – so der Polizist – schon vorgekommen ist, gibt es keine kritische Nachfrage des Interviewers. Der nicht nur lage- sondern primär rassistisch bedingte Erstickungstod von Seibane Wague bleibt unerwähnt. Opfer derartiger Polizeimethoden bleiben namenlos – der konkrete rassistische Kontext wird verschwiegen.

Schon in den ersten Minuten der WEGA-Dokusoap wird deutlich, dass rechtsstaatliche Prinzipien wie die Unschuldsvermutung für ATV irrelevant sind. Ein Mann, dem die Polizei Wohnungstüre und Teile der Einrichtung demoliert, wird schlichtweg als „der Täter“ vorgestellt. Ein späterer Schuldspruch vor Gericht wird jedoch nicht erwähnt.

Das intellektuelle Niveau ist weder auf Seiten des ATV-Teams und (wer hätte das erwartet) schon gar nicht bei den WEGA-Beamten besonders hoch. Dialoge wie der folgende sind kein Einzelfall:

WEGA-Polizist: Und das ist offensichtlich ein Luftdruckgewehr.
ATV: Was ist das für eine Waffe?
WEGA-Polizist: Ein Luftdruckgewehr ist das.

Zweifach gehirnamputiert und trotzdem nicht lustig. Scheinbar ist sowohl bei der WEGA als auch bei ATV nur die kleine Matura notwendig, um einen Job zu bekommen (und ich meine nicht die „kleine Matura“ von der die ÖVP derzeit träumt, sondern jene die Stermann & Grissemann anschaulich als „vier Jahre Volksschule und eine Tanzstunde“ beschrieben haben).

Der sprachlichen Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Etwa wenn ein Polizist, der „auf jeden Fall“ meint, stattdessen „jedenfalls“ sagt (und das nicht nur einmal). „Sollte es zu Widerstand kommen“ heißt im WEGA-Jargon „falls ein Widerstand is“. Dass er gerne isst, beschreibt ein Polizist mit den Worten „essen tua ich zur Liebe gern“. Als ein WEGA-Beamter spontan seine Englischkenntnisse auspackt, die immerhin für ein „Expect the unexpected“ reichen, ist im Hintergrund leise ein ratloses „Was?“ zu vernehmen. Der Ursprung ist nicht ganz klar. Sowohl seine Kollegen als auch Teile des ATV-Teams kommen in Frage. Ein weiterer Beamter ist nicht einmal in der Lage den englischen Namen seines Elektroschockers korrekt auszusprechen. Er nennt ihn einfach „Teesa“, so wie das Klebeband. Ob es in diesem Zusammenhang schon zu Verwechslungen und/oder tragischen Zwischenfällen gekommen ist, bleibt im Dunkeln.

Die Sendungsverantwortlichen gehen scheinbar davon aus, dass nach den ersten 20 Minuten die Leute vor der Kiste gespannt wissen wollen, wie und wo sie sich Bewerben können. Das legt jedenfalls die Dramaturgie der ersten Folge von WEGA - Die Spezialeinheit der Polizei nahe, die spätestens als man den WEGA-Beamten bei den Leibesübungen zusehen darf, zu einer unbezahlten Werbesendung für die Polizei mutiert – und zwar in eine von der verstörenden Sorte. In einem wohlwollenden Moment erinnern mich die schwitzenden, muskulöse Männer (größtenteils mit Glatze) an die um einige Personen erweiterte Variante der Band Right Said Fred. Wenig später muss ich beim selben Anblick an das Publikum eines Neonazikonzerts in Mecklenburg-Vorpommern denken. Erst als Glatzkopf Nr. 3 vom „Tschudosport“ erzählt, ist wieder klar in welche surreale Welt uns ATV entführt hat: In einen mit emotionalisierender Musik beschallten Albtraum, den sich quotengeile FernsehmacherInnen mit latent gewaltbereite Polizisten teilen.

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