Montag, 10. Januar 2011

Zwischen den Jahren

In der Zeit von 24. Dezember bis 1. Jänner herrscht alljährlich ein bizarrer Ausnahmezustand im Fernsehen (und leider nicht nur dort). Dass Lorielle London von Comedy Central als real life „Mr. Hankey, the Christmas Poo“ engagiert wurde, gehört da noch zu den erfreulichsten Erscheinungen. Der Rest des Fernsehprogramms wird über weite Strecken von familiengerechten Filmen dominiert, die größtenteils für ein leicht bis extrem unterbelichtetes Publikum gemacht zu sein scheinen.

Mitunter landet dann schon mal ein alter Nazi-Film im Nachmittagsprogramm. Etwa der 1944 gedrehte Der Engel mit dem Saitenspiel, den der Bayrischer Rundfunk zu Silvester ins Programm hievte. Sonst gab es einen Film über energetischen Schleim, den Santa Claus Franchise, diverse filmische Adaptionen von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte und: Eigenproduzierte Weihnachtsshows in epischer Länge!

Während der ORF alljährlich Menschen mit einem Spektrum von Volksmusik bis David Hasselhoff solange foltert, bis sie freiwillig ihr gesamtes Weihnachtsgeld an Licht ins Dunkel überweisen, zeigt Hape Kerkeling mit Hapes zauberhafte Weihnachten (RTL), dass er von seinem Jakobsweg-Selbstfindungstrip als Schatten seiner selbst zurückgekehrt ist.

Zappt man weiter nach hinten, lässt sich wahlweise kurioses, verstörendes und empörendes finden. Gelegentlich auch alles zusammen. Dank der interessanten programmplanerischen Entscheidung der ARD, in einem ihrer Spartenkanäle nicht die aktuelle Weihnachtsansprache des deutschen Bundespräsidenten zu zeigen, sondern ältere Folgen zu weiderholen, lassen sich politische Konflikte längst vergangener Zeiten nacherleben. Im konkreten Fall handelt es sich um die Weihnachtsansprache von Richard von Weizsäcker aus dem Jahr 1986, in der er Freiheit für Nelson Mandela und Rudolf Hess (!) fordert. Ist man zunächst noch verblüfft von einem sich antirassistisch gebenden Weizsäcker, folgt die Ernüchterung auf den Punkt. War die Hess-Begnadigungsbitte lediglich eine besonders perfide Strategie zur Erhaltung der Apartheid? Hess raus lassen, damit er den soeben freigelassenen Mandela mit ins jenseits nimmt?! Wer hätte wohl gewonnen in diesem spannendsten Celebrity Deathmatch aller Zeiten?

Die TV-Nachrichten zwischen Weihnachten und Silvester vermitteln den Eindruck, dass zur Beschreibung dieses Zustandes ein Begriff fehlt. Nämlich einer für ein Sommerloch, dass im Winter stattfindet. Neologismus dringend gesucht! Die Nachrichtenredaktionen klammen sich zwischen den Jahren an jeden noch so irrelevanten Strohhalm. Zum Beispiel die traurige Tatsache, dass Kälte im Winter ein riesiger Skandal ist. Wäre dem nicht so, müsste man sonst noch bis ins neue Jahr ganze Nachrichtensendungen mit Oppositionellen aus (Weiß-)Russland, China und der Elfenbeinküste bestreiten. Und für die interessiert man sich den Rest des Jahres ja auch nicht. Die weihnachtliche Renaissance des Terrorismus war für die Redaktionen diesbezüglich ein Segen.

Ist Weihnachten überstanden und Silvester rückt näher, bekommt man es mit einem breiten Spektrum an Jahresrückblicken zu tun, die über das Winterloch in den Nachrichtenredaktionen und die Ideenlosigkeit diverser ProgrammplanerInnen hinwegtäuschen sollen. Das Format gibt es dann auch in der – nicht unbedingt erträglicheren – Comedyvariante. Dieter Nuhrs Jahresrückblick nuhr - Der Jahresrückblick 2010 (ZDF) ist nur so lange lustig, wie sich die eigenen Vorurteile mit den seinen decken. 2010 war das zu schätzungsweise 10 Prozent der Fall. Eine positive Ausnahme im Jahresrückblick-Business: Charlie Brooker's 2010Wipe (BBC Two).

Kurz bevor die winterliche Saure-Gurken-Zeit überstanden ist, hebt ein Ereignis an, dass an Nervigkeit kaum zu überbieten ist: Der Tag, an dem alle das gleiche machen! Weltweit! Hat man zu Weihachten noch die theoretische Möglichkeit auf Fernsehen aus nicht christlich geprägten Regionen auszuweichen, ist der Silvester-Wahnsinn bereits derart globalisiert, dass es faktisch kein Entkommen gibt. Party is on. Everywere! Die Musikantenstadelisierung der Gesellschaft greift um sich und das im globalen Maßstab.

Danach ist es aber alles überstanden und ein neues Jahr voller großartiger Fernsehereignisse wartet. Z.B. mit Christoph Maria Herbst und Harald Schmidt im Traumschiff (ZDF) aka „der Mumienschlepper“ oder mit dem bereits totgeglaubten Rainer Langhans in Ich bin ein Star – holt mich hier raus (RTL).

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