Sonntag, 25. März 2012

Die Social-Media-Guidelines des ORF

Die Redakteursvertretung des ORF erklärt Social Media und ihre Vorstellung von Objektivität. Den JorunalistInnen rät man von gesellschaftlichem Engagement und politischen Äußerungen ab. Nicht Stellung beziehen sollen sie etwa zu "Initiativen zur Abschaffung des Bundesheeres, Rot-Grün- oder Schwarz-Blau-Unterstützung, Ziegelstein/Strache, Freunde-schützen-Haus, Thema Abtreibung" (S. 7).

Fotos von Armin Wolf beim Bong rauchen via Twitter oder Youtube-Videos von Ingrid Thurnher beim Koma saufen. Die Chancen darauf haben sich drastisch verringert, seit vergangene Woche ein mit "Social-Media-Guidelines für ORF-JournalistInnen" betiteltes Dokument veröffentlicht wurde. Darin werden ORF JournalistInnen die Chancen und Gefahren des Web 2.0 erklärt. Zwar betonen die AutorInnen, es handle sich lediglich um "Empfehlungen", viele davon sind aber wie Weisungen formuliert.

Zukünftige Proteste im Keim ersticken?


Im Großen und Ganzen ist es eine Sammlung von guten Ratschlägen, deren Beachtung man - bis auf einige Ausnahmen - vielen prominenten InternetuserInnen empfehlen kann. Einige Punkte sind, zu Ende gedacht, aber durchaus diskussionswürdig.

Das beginnt schon bei Punkt 1, der da lautet: "Du bist im Internet nicht nur als Privatperson, Du wirst auch als ORF-MitarbeiterIn wahrgenommen." (S. 5) Das mag zwar stimmen, bekommt aber im Zusammenhang mit der etwas später getroffenen Bemerkung, wonach "Negative Kommentare über ORF-Programme oder Kollegen/innen und (übel)launige Selbstbefindlichkeitsatteste zur aktuellen eigenen Arbeitsmoral" ein "no-go" seien (S. 6), einen bitteren Beigeschmack. Hier verlassen die AutorInnen den Ton der gut gemeinten "Empfehlung" und man fragt sich: Würden etwa Proteste gegen parteipolitisch motivierte Jobvergaben, wie jene im vergangen Jahr, zukünftig mit Verweis auf die Social-Media-Guidelines ebenfalls zum "no-go"?

Abtreibung, Abschiebung, Abschaffung


Wie bereits oben zitiert, bringen die Guidelines auch einige Beispiele für politisches Engagement, das ORF-JournalistInnen lieber bleiben lassen sollen. Die Auswahl ist bemerkenswert.

Die Empfehlung, Äußerungen über die längst fällige Abschaffung des Bundesheeres zu unterlassen, erinnert eher an Staatsfernsehen und weniger an eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt. Warum von einer Unterstützung von Purple Sheep und dem Freunde-schützen-Haus abgeraten wird, ist nicht weniger schleierhaft. Sollten nicht gerade kritische JournalistInnen ein aktives Interesse an der Existenz derartiger Projekte haben? Schließlich trägt das Freunde-schützen-Haus dazu bei, die Praxis der Fremdenpolizei öffentlich zu machen – und das eben nicht aus der sonst so oft unhinterfragt reproduzierten Perspektive von Innenministerium und Polizei.

Besonders absurd ist die Empfehlung, sich nicht zum Thema Abtreibung zu äußern. Leben wir in den 1950er Jahren? Wurden die Guidelines vom Papst verfasst? Der Hinweis, dass "Sexuelle Vorlieben (...) grundsätzlich Privatsache" (S. 6) seien, legt das jedenfalls nahe. Warum ist es denn ein Problem, wenn ORF-JournalistInnen öffentlich über ihre sexuellen Vorlieben sprechen? Oder ist es die insgeheime Angst vor offen schwul/lesbischen NachrichtensprecherInnen, die zu derartigen Formulierungen führt?

"Tue nichts Dummes!" - So einfach ist es (intransparent zu sein)


"Jeder hat ein Recht auf seine Meinung - auch ORF-JournalistInnen", wird auf Seite 7 demokratisch pflichtbewusst betont. Direkt im Anschluss schränkt man jedoch schon wieder ein:
"Aber ebenso gilt: Das Publikum hat ein Anrecht auf eine objektive, ausgewogene, unabhängige Berichterstattung. Und diese darf auch nicht durch persönliche öffentliche Positionierung des/der Berichterstatters/Berichterstatterin in Zweifel gezogen werden."
Der defacto Maulkorb, den der ORF seinen MitarbeiterInnen hier umhängt, fördert weniger die Ausgewogenheit, als die Verschleierung von Meinungen. Berichterstattung ist niemals objektiv. Sie kann jedoch ihre eigenen Prämissen offenlegen und damit der mündigen ZuschauerIn die Bewertung der erhaltenen Information erleichtern.

Es wäre besser zu Wissen, dass eine JournalistIn, die einen Beitrag zum Thema Abtreibung gestaltet, mit christlichen AbtreibungsgegnerInnen sympathisiert. Denn mit diesem Wissen ermöglicht man dem Publikum, die Stoßrichtung der Reportage/des Berichtes und die Perspektive, mit der sich die JournalistIn dem Thema nähert, einzuschätzen. Dem Anrecht des Publikums auf ausgewogene und unabhängige Berichterstattung wird sicher nicht dadurch Genüge getan, dass man den Bias der JournalistIn verschleiert.

Link:
Social-Media-Guidelines für ORF-JournalistInnen - mit einem Vorwort von Dieter Bornemann (PDF)


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