Mittwoch, 28. Mai 2014

Outside the closet, beyond humanity? Ambivalenzen queerer Science Fiction am Beispiel Torchwood

Die MacherInnen von Torchwood (BBC Wales u. a., 2006–2011) formulierten den Anspruch, aus der heterosexuellen Matrix der Mainstream-Science-Fiction auszubrechen. Eingelöst wird er nur bedingt.

Die Serie geht von der Prämisse aus, unterhalb der walisischen Hauptstadt Cardiff befände sich ein Riss in Raum und Zeit, durch den regelmäßig Aliens auf die Erde gespült würden. Aufgabe des Torchwood-Instituts ist es, die Aliens wieder einzufangen und Alientechnologie zu horten, damit diese nicht in die falschen Hände fällt. Konzeptionell handelt es sich um eine Mischung aus The X Files (Fox, 1993–2002) und Men in Black (1997–2012). Erzählt wird aus Perspektive jenes verschwörerischen Instituts, dass bereits seit Jahrhunderten aus dem Geheimen heraus - "outside the government, beyond the police", wie es am Beginn jeder Folge heißt - gegen Außerirdische kämpft.

Längstdienender Mitarbeiter bei Torchwood ist Jack Harkness (John Barrowman), was mutmaßlich dem Umstand, dass er nicht sterben kann, geschuldet ist. Eine bi- oder besser gesagt omnisexuellen Figur nicht nur zum Hauptprotagonisten zu machen, sondern ihr auch noch Unsterblichkeit zu verleihen, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. In der angelo-amerikanischen Filmgeschichte ist es eine sich hartnäckig haltende wie auch wirklich lange zurückreichende Erzähltradition, dass nicht-heterosexuelle Figuren das Ende des Films nicht erleben, weil sie davor einen zumeist gewaltsamen Tod sterben. Zumindest von Letzterem ist auch Jack nicht ausgenommen. Er stirbt in der Torchwood Gesamterzählung über 1.400 Mal. Oftmals im Zusammenhang mit seiner nicht ungefährlichen Arbeit, häufig in einem der beiden Weltkriege, gelegentlich aber auch als Opfer homophober Lynchmobs. Doch er kommt wieder - jedes Mal.

Torchwood spielt im gleichen Serienuniversum wie die seit 1963 laufende Science Fiction-Serie Doctor Who (BBC Wales). Diese war, was ihr Zielpublikum betrifft, ursprünglich an Kinder gerichtet. Da seit 1963 so manches Kind erwachsen wurde, aber dennoch Fan blieb, hat sich Doctor Who spätestens mit dem Relaunch im Jahr 2005 zu einer Serie entwickelt, die ein breites Mainstreampublikum anspricht und dennoch weiterhin familienfreundlich bleiben soll. Die inhaltliche Verantwortung für die ersten vier seit der Wiederbelebung von Doctor Who produzierten Staffeln trägt Russell T Davies, der zuvor u.a. die Serie Queer as Folk (Channel 4, 1999–2000) entwickelt hatte, die seit dem amerikanisches Remake auch international ein Begriff ist. Bei Torchwood fungierte Davies ebenfalls als Showrunner, weshalb es naheliegend ist, das Spin-off mit seinem Mutterschiff zu vergleichen.

Love and Monsters

Im Unterschied zu Doctor Who wirbt Torchwood mit der expliziten Darstellung von Sexualität und Gewalt. Die Darstellung Ersterer erinnert mitunter an jene Anmerkung aus der Dialektik der Aufklärung, wonach die Kulturindustrie zugleich "pornographisch und prüde"[1] sei. Das bezieht sich weniger darauf, dass in Torchwood trotz der angeblich so expliziten Sexszenen, kaum nackte Haut - und wenn, dann meist nur in Form vergleichsweise gut durchtrainierter Körper - zu sehen ist, sondern auf die Motive, die mit dem Sex verbunden sind. Oftmals sind dies Schuld, Gefahr und/oder Tod. Kritischen Zuschauer_innen wird zudem auffallen, dass in Torchwood trotz der behaupteten Queerness die heterosexuelle Zweierbeziehung von Gwen (Eve Myles) und Rhys (Kai Owen) im Verlauf der vier Staffeln immer stärker fetischisiert wird und sich einige Handlungsstränge im wörtlichsten Sinn um die Rettung der (klassischen) Familie drehen. Letztlich ist es diese Familie, die überlebt, während sich ansonsten eine Blutspur durch die Serie zieht. Eine, die das Leben aller nicht heterosexuellen Figuren mit Ausnahme des Jack Harkness fordert. Zudem ist Jack in der letzten Staffel nicht mehr unsterblich und verliert damit jene Eigenschaft, die ihn von so vielen anderen nicht-Hetero-Figuren der Film- und Fernsehgeschichte unterscheidet.

Fanproteste hat bereits eine Staffel zuvor der Serientod von Ianto Jones (Gareth David-Lloyd) ausgelöst. Kritisiert wurde, dass mit Ianto nach Toshiko (Naoko Mori) und Owen (Burn Gorman) bereits die dritte bisexuelle Figur innerhalb relativ kurzer Zeit einen brutalen Tod sterben musste. Mit Iantos Tod endete noch dazu die erste und letzte schwule Beziehung innerhalb des Torchwood-Teams. Dass schwuler Sex in der vierten und bisher letzten Staffel[2] primär im Kontext von Aids und Sünde gedacht sowie bebildert wird, ist möglicherweise der Preis, der für den hohen Body Count der zweiten und dritten Staffel und dem daraus resultierendem Fehlen einer brauchbaren Figurenkonstellation, bezahlt wird.

Last of the Time Lords

Versucht man ein Fazit zu ziehen, scheint die vergleichsweise subtile Thematisierung des Umstandes, dass wir nicht in einer durchwegs heterosexuellen Welt leben, in Doctor Who weitaus gelungener, als im Spin-off Torchwood. Möchte man Torchwood homophob lesen, ließe sich leicht argumentieren, dass die Serie moralisch degenerierte Menschen zeige, deren Gewaltschwelle extrem niedrig ist und deren Beziehungen dysfunktional sind. Nur ein kleiner Schritt im Kopf der RezipientIn ist nötig, um die häufig als wahllos dargestellte Sexualität als Fortsetzung der serienimmanenten Amoral zu sehen

Die Figur des mysteriösen, zeitreisenden Doctors fehlt in Torchwood nicht nur aus Jugendschutzgründen[3], sondern auch, weil sie in einem Setting der sich selbst legitimierenden Gewalt keinen Sinn hat. Der Doctor fungiert in Doctor Who als moralische Instanz, die trotz recht schwacher biographischer Voraussetzungen für diese Funktion (so trägt er die Verantwortung für mehrere Genozide) dem Publikum nahelegt, was richtig und was falsch ist. Mit Homosexualität hat er offensichtlich kein Problem. Auch wenn die wenigen Romanzen des Doctors durchwegs Hetero-Liebschaften sind, ist er dem einen oder anderen gleichgeschlechtlichen Flirt nicht abgeneigt und fungiert am Ende der vierten Doctor Who Staffel als Kuppler für Jack. Die Normalisierungsstrategie von Doctor Who, in einer von vielen Kindern konsumierten Serie kontinuierlich bi-, homo- und transsexuelle Nebenfiguren auftreten zu lassen, scheint erfolgsversprechender zu sein, als das, was - wenn auch im Unterschied zu Doctor Who auf Ebene der Hauptfiguren - in vier Staffeln Torchwood zu sehen war. Nicht zuletzt deshalb, weil LGBT-Figuren bei Doctor Who im Unterschied zu Torchwood nicht primär über ihre Sexualität definiert werden.

Dieser Text ist geringfügig überarbeitet in Unique 2/2014 im Schwerpunkt "Science Fiction und Gesellschaft" erschienen.

Anmerkungen:
[1] Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Gesammelte Schriften 3, S. 162.
[2] Unabhängig davon wäre die vierte Torchwood-Staffel auch für ihre mit antisemitischen Motiven aufgeladene verschwörungsideologische Rahmenhandlung sowie – mehr noch als die vorangegangenen Staffeln – für ihre Affirmation des Todes zu kritisieren.
[3] Kinder sollen die Serie nicht sehen und ein Gastauftritt des Doctors könnte - so die Befürchtung - ihr Interesse für Torchwood wecken.

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