Samstag, 9. August 2014

Schweigen über Roland Rainers NS-Vergangenheit und den Roland-Rainer-Platz

Nachdem der ORF sich dazu entschlossen hat, den Eurovision Song Contest 2015 in der Wiener Stadthalle auszutragen, wurde auch ihrem Architekten mediale Aufmerksamkeit zuteil. Über die nationalsozialistische Vergangenheit Rainers und den Umstand, dass es vor der Stadthalle dennoch seit 2006 einen Roland-Rainer-Platz gibt, wird jedoch geschwiegen.

Dass viele NationalsozialistInnen nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen konnten, ist eine bittere Tatsache. Als NSDAP-Mitglied im 21. Jahrhundert einen öffentlichen Platz zu seinen Ehren benannt zu bekommen, ist hingegen sogar in Österreich vergleichsweise unüblich[1].

Erst seit 2006 heißt die Freifläche vor der Stadthalle Roland-Rainer-Platz. Anfang 2014 hat die Wiener Stadthalle ihre offizielle Anschrift auf Roland-Rainer-Platz 1 ändern lassen. Eine einfache Wikipedia-Suche hätte gereicht, um sich über Rainers Vergangenheit zu informieren. Doch die Verantwortlichen haben entweder nicht einmal oberflächlich recherchiert oder sie wussten Bescheid und es war ihnen egal.

Ähnliches gilt für die JournalistInnen, die nun anlässlich der Vergabeentscheidung über den Architekten der Stadthalle berichteten. Die meisten Artikel erwähnen Rainer zumindest kurz. Etwas ausführlicher behandelt wird er in "Die Fakten zur Wiener Stadthalle" (OE24). Die Bezugnahmen auf Rainer beschränken sich allerdings auf die Architektur der Stadthalle sowie Konflikte rund um den Umbau der Selbigen vor einigen Jahren.

In "Song Contest: ORF-Chef entscheidet sich für Wien" (Der Standard) wird das postnazistische Naheverhältnis zwischen Rainer und der Wiener Sozialdemokratie durchwegs kritisch thematisiert - allerdings ohne es als ebensolches zu benennen. Auch die vor einigen Monaten gefällte Entscheidung der ORF-Führung, das von Rainer geplante ORF Zentrum einem Neubau in St. Marx (siehe dazu: "Um das Funkhaus trauern? Sich über den Küniglberg freuen?") vorzuziehen, findet Erwähnung. Nur Rainers NS-Vergangenheit nicht.

Die Wiener Zeitung titelte gar mit "Roland-Rainer-Platz calling" und kam dem Problem damit so nahe, wie kein anderes österreichisches Medium. Im Artikel wird Rainer jedoch gar nicht mehr erwähnt - geschweige denn, warum es problematisch sein könnte, einen Platz nach ihm zu benennen.

Bei der Lektüre der genannten Texte fragt man sich, ob die AutorInnen wissen, dass es sich bei dem Architekten, über dessen Werk und politische Verbindungen sie mehr oder weniger wortreich Auskunft geben, um einen Nazi handelte. Falls dem so ist: Erscheint ihnen Rainers NS-Vergangenheit als irrelevant? Oder möchten sie ein sich als tolerant und offen inszenierendes Wien nicht konterkarieren und verschweigen deshalb die Existenz eines nach einem NSDAP-Mitglied benannten Platzes direkt vor dem Austragungsort des Eurovision Song Contest 2015? Problematisch wäre beides.

Anmerkung:
[1] 2007 wurde eine Gasse in Wien-Floridsdorf nach der Theaterwissenschaftlerin Margret Dietrich benannt, die wie Roland Rainer Mitglied der NSDAP war und dennoch nach 1945 als Universitätsprofessorin Karriere machen konnte. Proteste der Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft führten zur Umbenennung der Gasse, die seitdem nach Stella Kadmon benannt ist.

Siehe auch:
Song Contest am Roland-Rainer-Platz?

Link:
Roland-Rainer-Platz umbenennen

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